Einführung
„Kunst der Linie“
Herzlich
willkommen zur Eröffnung unserer neuen Ausstellung hier im art
studio „Zweig“ – die erste nach der Sommerpause mit den beiden
Hauskünstlerinnen Christa Zoch und Zoya Shubina, und auch die erste
hier in diesem Haus von Yuki Klink, die aus Japan stammt aber hier in
Borgfeld jetzt ihr Zuhause hat.
Im
Mittelpunkt steht ein zunächst mathematisch anmutender Begriff, ohne
den aber in der Bildenden Kunst eigentlich auch kaum etwas geht: Die
Linie. Nun ist das ein Begriff, der verschiedene Deutungen zulässt,
was aber noch mehr seine Allgegenwart in unserem Leben betont. Wir
fahren mit einer Buslinie, wir haben unsere Linie verloren, wir haben
eine rote Linie überschritten – oder auch Angst um unsere schlanke
Linie. Linien halten das Leben zusammen, sie sind ein wesentlicher
Teil auch unseres Denkens.
Dabei
ist das erwähnte Überschreiten der „roten Linie“ ein Hinweis
auf etwas Verbotenes. In der Kunst ist so eine imaginäre Linie immer
wieder überschritten worden – und hat dadurch Veränderungen und
auch Bereicherungen ermöglicht. Bis dahin, dass es eine
allgemeingültige Linie eigentlich nicht mehr gibt. Gut, auch im
Mainstream-Betrieb der heutigen Kulturszene werden Linien gezogen –
aber sehr willkürlich und zum Teil ohne inhaltliche oder
kunstphilosophische Logik. Und schon Picasso hatte ja darauf
hingewiesen, dass man zu seiner Zeit das gleiche Thema ganz
unterschiedlich behandeln konnte: realistisch – grafisch –
abstrakt. Puristen hören das natürlich nicht gern…
Wie
dem auch sei: Zu keiner Zeit haben die Künstlerinnen und Künstler
ganz „die Linie“ verloren – weil, siehe oben, ohne sie nicht
viel geht. Und so können wir uns freuen, heute verschiedene
Auseinandersetzung mit diesem zunächst einmal geometrischen Element
zu erleben – gerade auch deshalb, weil die Ausstellung über den
mitteleuropäischen Raum hinausgeht, also auch hier eine Linie
überschreitet. Yuki Klink präsentiert hier Bilder, die der Kunst
des shodo zuzurechnen sind –jener berühmten, rund 2000 Jahre alten
Schönschreib-Kunst. Shodo heißt denn auch: Die Kunst des
Schreibens. Wir kennen das unter dem Namen „Kalligraphie“. Und
die war übrigens auch ein Element der Grundausbildung eines jeden
Samurai-Kämpfers. Pinsel und Schwert, so erfuhr ich, waren quasi
gleichberechtigt.
Ein
weiterer japanischer Begriff muss hier noch ins Spiel gebracht
werden: der des wabi sabi.
Das
ist das mit dem Zen-Busshismus verbundene Konzept der Wahrnehmung von
Schönheit, Schlichtheit und Feinheit, in deren Darstellung auf ein
Minimum reduziert. Wie wir hier auf eindrucksvolle Weise bestätigt
finden. Und denken Sie nun bitte nicht, weil es sich hier um
„Schönschrift“ handelt, würden die Zeichen einfach
niedergeschrieben. Nein, der Entstehungsprozess eines shodo ist
mitunter langwierig und beinhaltet viele Entwürfe, bis am Ende die
Komposition auch stimmig ist. Dem Schreibvorgang gesellt sich, wie
eben bei Kunst notwendig, der des Komponierens hinzu.
Und
der wiederum folgt der quasi sakralen Bedeutung der alten
Schriftzeichen, in denen man eine Himmelbotschaft erkennen kann.
Genaueres
erfragen Sie am besten nachher im Gespräch mit der Künstlerin –
einen Satz aus dem Text, den mir Yuki gegeben hat, möchte ich jedoch
hinzufügen:
„Besonders
wichtig bei der japanischen Kalligraphie ist die lebendige Linie, die
Ausgeglichenheit zwischen allen Elementen des Werkes.“
Und
damit sind wir wieder beim Thema dieser Ausstellung, das auch von
Zoya Shubina und Christa Zoch auf unterschiedliche und individuelle
Weise bearbeitet wurde:
Christas
Kompositionen scheinen auf den ersten Blick abstrakt. Sie enthüllen
eine Vielzahl von Linien – einige scheinen endlos zu sein und in
ihrer Endlosigkeit einen eigenen Kosmos zu schaffen. Aus diesem
heraus erwächst uns wieder ein Bild, dem unsere Fantasie an manchen
Stellen auch gern einen „realistischen“ Ausdruck verpassen
möchte. Ich denke, das ist auch durchaus gewollt. Und mich
persönlich fasziniert auch gerade dieser Aspekt: Es scheint ja ein
Widerspruch in sich zu sein, dass die Endlosigkeit uns Halt zu geben
scheint. Und ich denke, vielleicht kommen wir auch mit diesem
Endlos-Begriff nicht weiter, sondern eher mit dem des Kreislaufs. Ein
Wort, das wir auch aus unserem Leben kennen – ohne funktionierenden
Kreislauf geht gar nichts – so es eben auch schwer wird, wenn wir
unsere Linie verloren haben. Was wiederum etwas anderes ist, als wenn
wir von unserer Linie abweichen. DAS ist oft ein bewusster Prozess.
Und
DAS beobachte ich im besten Sinne oft bei Christa – Du magst mir
verzeihen, wenn ich hier „falsch“ liege, denn ich habe Dir meinen
Text nicht vorher gezeigt…
Ich
habe mitunter das Gefühl, Du zwingst mich, von meiner gedanklichen
Linie abzuweichen, aber ich lande dann nicht im Nirgendwo, sondern
entdecke neue Linien, durch die sich Deine Kunst mir neu und vor
allem: näher erschließt.
Und
schließlich Zoya Shubina mit ihren realistisch anmutenden
Landschaften und Naturzeichnungen. Ja, klar. Man erkennt, was Zoya
uns zeigen will. Bäume, Vögel, das Meer, den Himmel, oder die
Silhouette einer Stadt. Aber wie tut sie das? Indem sie einfach ein
Foto mit den Linien ihrer Tusche neu zeichnet? Niemals! Zoyas
realistische Kunst ist nie auf diese Weise realistisch. Auch sie
zwingt uns, auf neue Linien einzuschwenken. Oder auch: das Phänomen
„Linie“ einmal ganz außer Acht zu lassen. Was wären die Linien
auf Zoyas Zeichnungen ohne die Flächen, auf denen die Linien fehlen?
Oder im Nichts unterzugehen scheinen? Verlieren wir da die Linie,
oder hat Zoya sie verloren? Nein: Die Linien bekommen Kraft auch und
gerade durch die Freiheit zwischen ihnen. Das ist wie in der Musik
und zeigt auch Zoyas Verbundenheit mit der Musik: Ohne Pausen würde
die Tonkunst ihre Dynamik verlieren. Und, wie wir hier bei Zoya
deutlich vor Augen geführt bekommen, eben nicht nur die klingende,
sondern auch die Bildende Kunst. Denn schauen wir zum Beispiel auf
das Meer. Wellenlinien sind Fehlanzeige – mitunter sehen wir eine
weiße Fläche. Die aber uns aber deutlicher als jeder Strich das
Meer zeigt. Und es dabei uns überlässt, wie wir es sehen.
Und
so sind wir gehalten, eben nicht nur auf die Linie zu achten, sondern
darauf, was sich in ihrem Umfeld abspielt – und diese Aussage führt
uns zurück zu Yuki, in deren Text zur shodo-Kust noch zu lesen ist:
Besonders
wichtig bei der japanischen Kalligraphie ist die lebendige Linie, die
Ausgeglichenheit zwischen allen Elementen des Werkes. ‒ allen
Linien, allen Punkten, auch den Tropfen der Tusche und den Leerräumen
dazwischen.
Jedes Element vermag Bände zu sprechen.
Jedes Element vermag Bände zu sprechen.
Das
also gilt überall – bei Christa, bei Zoya und eben auch bei Yuki,
die uns außerdem noch mit einer Präsentation von japanischen Puppen
bereichert, die ebenfalls alle von ihrer Hand stammen und zum
Phänomen Linie noch das der Dreidimensionalität hinzufügt. Am
Freitag, dem 7. November um 17 Uhr wird uns Yuki übrigens näher in
die Kunst der Kalligraphie und der Puppenschöpfung einführen.
Wolfgang Stapelfeldt
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